Das Kasseler Bundessozialgericht hat am 28. Juni 2022 ein Urteil zur Abgrenzung von abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit bei Lehrern und Dozenten gefasst (B 12 R 3/20 R), auf dessen Folgewirkungen wir hier in aller Kürze eingehen.
In dem Revisionsverfahren wehrte sich die baden-württembergische Stadt Herrenberg (daher „Herrenberg-Urteil“) gegen eine Beitragsnachforderung der Deutschen Rentenversicherung. Streitgegenstand war die Frage, ob eine Musiklehrerin an einer städtischen Musikschule in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis zu der Klägerin stand. Urteilstenor ist, dass die Musikschullehrerin sozialversicherungspflichtig beschäftigt war, wohingegen die Vertragsparteien von einer selbstständigen Tätigkeit ausgegangen waren.
Die Spitzenorganisationen der Sozialversicherung griffen das BSG-Urteil mit Besprechungsergebnis vom 4. Mai 2023 (TOP 1) auf und maßen ihm – über den Charakter einer Einzelfallentscheidung hinaus – grundsätzliche Bedeutung bei. Es wurden präzisierte Beurteilungsmaßstäbe bei Lehrern und Dozenten festgelegt, die grundsätzlich ab dem 1. Juli 2023 anzuwenden waren – auch in entsprechenden Bestandsfällen.
Das BSG-Urteil und in der Folge das Besprechungsergebnis der SV-Spitzenorganisationen führten zu Statusfeststellungen und zu Beitragsnachforderungen durch die Deutsche Rentenversicherung, die einen Sturm der Entrüstung bei den betroffenen Bildungseinrichtungen auslösten. Dies rief wiederum den Gesetzgeber auf den Plan, der mit dem Gesetz zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 25. Februar 2025 eine Übergangsregelung für Lehrtätigkeiten zum 1. März 2025 in Kraft setzte.
Nach der Übergangsregelung in § 127 SGB IV soll eine Feststellung des Sozialversicherungsstatus von Lehrkräften als abhängig beschäftigt durch die Sozialversicherungsträger bis zum 31. Dezember 2026 ohne Wirkung bleiben; d. h. die Versicherungspflicht soll erst ab dem 1. Januar 2027 beginnen. Dies gilt immer dann, wenn
- die Vertragsparteien bei Vertragsschluss übereinstimmend von einer selbstständigen Tätigkeit ausgegangen sind und
- die Lehrkraft dem zustimmt.
Achtung: Gemäß Beitragsverfahrensverordnung (§ 8 Abs 2 Satz 1 Nr. 20 BVV) besteht eine Verpflichtung zur Dokumentation der Zustimmung der Lehrkraft in den Entgeltunterlagen.
Weil die Übergangsregelung in ihrer praktischen Umsetzung verschiedene Fragen nach sich zog, insbesondere zum Anwendungsbereich sowie zum Verfahren der Zustimmung der Betroffenen, verfassten die SV-Spitzenorganisationen ein weiteres Besprechungsergebnis vom 21. Mai 2025 (TOP 1) und gaben Empfehlungen für eine einheitliche Umsetzung in der Praxis.
Ausblick:
Zum Statusfeststellungsverfahren nach § 7a SGB IV finden sich auch Aussagen im Koalitionsvertrag für die 21. Legislaturperiode der schwarz-roten Bundesregierung (Zeilen 467 ff): „Wir werden das Statusfeststellungsverfahren zügig im Interesse von Selbstständigen, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und Unternehmen schneller, rechtssicherer und transparenter machen, zum Beispiel auch mit Blick auf die Auswirkungen des Herrenberg-Urteils. Scheinselbstständigkeit wollen wir verhindern. Zur Beschleunigung führen wir eine Genehmigungsfiktion ein, die im Zuge der Reform der Alterssicherung für Selbstständige umgesetzt wird.“